Forschungsinfrastrukturen als zentrale Voraussetzungen
Der Nachweis des «Higgs-Teilchens» ist nur eines von vielen Beispielen, um zu zeigen, wie zentral Forschungsinfrastrukturen für die Weiterentwicklung unseres Wissens sind. Dasselbe gilt für alle Wissenschaftsbereiche und sämtliche Etappen auf dem Weg zur Entwicklung neuen Wissens.
In den Sozialwissenschaften oder in der Bioinformatik sind es beispielsweise die Daten- und Service-Infrastrukturen, die auf komplexen Datenbanken mit sehr grossen Datenmengen basieren. Dabei werden Daten anhand von Analysen strukturiert und für die Forschung aufbereitet beziehungsweise nutzbar gemacht. In der Klimaforschung sind es zum Beispiel die örtlich verteilten Messstationen, mit denen Daten zur Klimaveränderung über längere Zeiträume erhoben und über koordinierte Netzwerke den Forschenden zugänglich gemacht werden.
All diese Forschungsinfrastrukturen basieren mittlerweile auf ausgeklügelten IT-Infrastrukturen, die Rechnerkapazitäten brauchen, um die riesigen Datenmengen in komplexen Systemen speichern und übertragen zu können. Beispielsweise generieren die verbesserten Techniken der zahlreichen Sensoren beim weltgrössten Teilchenbeschleuniger des CERN, dem Large Hadron Collider LHC, rund 1 Petabyte (1'000'000 Gigabyte GB) an Daten bei der Durchführung von Experimenten; oder pro Sekunde 6 GB Daten. Umso wichtiger ist es, solche Daten zu selektionieren, zu strukturieren und zu pflegen.
Grosses Potenzial für die Grundlagenforschung und Innovationen
Eine Forschungsinfrastruktur stellt ein ganzes System an Wissen und Innovation dar, dessen Auswirkungen sich auf die Gesellschaft entlang der gesamten Wertschöpfungskette beobachten lassen. Mit der zunehmenden Komplexität von Forschungsinfrastrukturen vervielfachen sich ihre Nutzungs- und Anwendungsbereiche. Hier besteht ein grosses Potenzial. Das CERN ist beispielsweise primär für seine Untersuchungen und sein Grundlagenwissen über Elementarteilchen bekannt. Es ist aber auch der Ort, an dem vor 30 Jahren das World Wide Web «erfunden» wurde. Dank der CERN-Grundsätze war es übrigens von Anfang an öffentlich zugänglich.
Weniger bekannt ist jedoch, dass aus den Experimenten am CERN auch Innovationen resultieren. So entstanden etwa im Bereich der Medizin neue Bildgebungsverfahren (Magnetresonanztomographie) und Therapieformen (Protonentherapie).
Auch in anderen Fachbereichen wie zum Beispiel in den Geowissenschaften entsteht neues Wissen dank Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung. Das «European Plate Observing System» beispielsweise bedient sich eines Netzwerks spezifischer Infrastrukturen für die Beobachtung der Erdplatten. Die ständig weiterentwickelten Seismometer tragen dazu bei, das Verständnis physikalischer und chemischer Prozesse der Erde zu verbessern. Dadurch ist beispielsweise ein besserer Schutz vor Überschwemmungen oder Erdrutschen möglich.
Subsidiäre Rolle des Bundes
Mit der angewandten Forschung lassen sich potenziell Geschäftsgewinne erzielen, was in der Regel das Interesse privater Anleger weckt. Für die Grundlagenforschung gilt das nicht immer. Hier muss die öffentliche Hand die notwendigen Ressourcen aufbringen für die Weiterentwicklung der Wissenschaft von morgen, die wiederum den Weg bereitet für die angewandte Forschung von übermorgen.
Vor diesem Hintergrund finanziert die öffentliche Hand Forschungsinfrastrukturen, dank denen die Grenzen der wissenschaftlichen Kenntnisse immer weiter versetzt werden können. Wie in vielen anderen Bereichen wendet die Schweiz auch hier das Subsidiaritätsprinzip an. Im Allgemeinen finanzieren und betreiben die Forschungseinrichtungen die von ihren Forschenden benötigten Forschungsinfrastrukturen selbst. Das gilt nach Möglichkeit auch für die Beteiligung an internationalen Forschungsinfrastrukturen. Der Bund engagiert sich nur, wenn sich − wie beim CERN − Investitionen und die institutionelle Stabilität langfristig nur durch Staaten sicherstellen lassen. Der Aufbau einer Forschungsinfrastruktur setzt dementsprechend eine strategische Verankerung in den Hochschulen voraus. Auch ist in allen Fällen ein sorgfältig erarbeiteter und validierter «Business Plan» erforderlich. Dieser Bottom-up-Ansatz trägt dazu bei, dass die nationale Landschaft der Forschungsinfrastrukturen sowohl ausgewogen ist als auch den Bedürfnissen der Forschenden entspricht.
Koordination und Priorisierung
Aufgrund der begrenzten finanziellen Mittel, die dem Bund und den Kantonen als Träger der Hochschulen zur Verfügung stehen, braucht es eine frühzeitige und konsequente Priorisierung wichtiger Forschungsinfrastruktur-Vorhaben.
Der Bund hat den gesetzlichen Auftrag, seine finanziellen Mittel wirtschaftlich und wirksam zu verwenden und die wissenschaftliche Forschung und wissensbasierte Innovation zu fördern. Die Entscheide, eine nationale oder internationale Forschungsinfrastruktur aufzubauen und zu betreiben, basieren auf wissenschaftlichen Beurteilungen von internationalen Panels, fachlichen Einschätzungen von Forschergemeinschaften und – insbesondere im internationalen Bereich – auf forschungspolitischen Prioritäten im Rahmen der verfügbaren Finanzmittel.
Die Beteiligung der Schweiz an internationalen Forschungsinfrastrukturen wird von den anderen Ländern zwar geschätzt und gewünscht, sie spielt aber bei der Errichtung dieser Infrastrukturen jeweils keine entscheidende Rolle. Die finanziellen Beiträge der Schweiz hängen in der Regel davon ab, wie stark die Infrastruktur von ihren Forschenden genutzt wird, und schwanken daher je nachdem zwischen 1 und 5 Prozent des Budgets. Die Schweiz kann sich entsprechend mit relativ bescheidenen Beiträgen an einer Vielzahl von internationalen Forschungsinfrastrukturen beteiligen und ihren Forschenden und Unternehmen somit in etlichen Bereichen Zugang zu den weltbesten wissenschaftlichen Instrumenten verschaffen. Damit erreicht der Bund ein Ziel der Internationalen Strategie der Schweiz im Bereich Bildung, Forschung und Innovation (BFI), nämlich, dass Infrastrukturen, Programme und Dienstleistungen im Ausland Schweizer BFI-Akteuren offenstehen und ihnen zur Sicherung und Steigerung der Qualität ihrer eigenen Leistungen dienen. Auch stellt der Bund dadurch sicher, dass Schweizer Unternehmen privilegierten Zugang zu einem Markt haben, auf dem mit den von diesen internationalen Infrastrukturen ausgehenden Aufträgen eine hohe Wertschöpfung generiert werden kann.
Bericht «Nationale Roadmap Forschungsinfrastrukturen» aktualisiert
Das zuständige Fachamt, das SBFI, erarbeitet periodisch einen Bericht zuhanden des Bundesrates, der den Stand und die Entwicklung von Forschungsinfrastrukturen aufzeigt. Dabei werden auf nationaler Ebene die Entwicklungsprioritäten der jeweiligen Fachgebiete im ETH-Bereich und an den kantonalen Hochschulen berücksichtigt, auf internationaler Ebene zudem die Entwicklungen insbesondere der europäischen Forschungsförderung.
Die aktuelle nationale Roadmap für Forschungsinfrastrukturen 2019 ist in enger Zusammenarbeit mit dem ETH-Bereich und den kantonalen Hochschulen (Universitäten und Fachhochschulen) erarbeitet worden. Der Bericht gibt einen Überblick über die priorisierten laufenden und geplanten nationalen wie auch internationalen Forschungsinfrastrukturen. Diese Vorhaben sind von nationaler Bedeutung und für die Forschungsgemeinschaft aller Hochschulen aufgrund vorgegebener Kriterien zugänglich. Der Bericht dient dem Bund als Planungsgrundlage für die Vorbereitung der Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation 2021−2024. Neue Vorhaben können so frühzeitig gesamtschweizerisch koordiniert und nachhaltig abgestützt werden.
Die Roadmap selbst ist kein Finanzierungsinstrument. Die Hochschulen und die Forschungsanstalten des ETH-Bereichs haben mit der Roadmap die Möglichkeit, ihre priorisierten Vorhaben national wie auch international zu positionieren und sichtbar zu machen. Es ist nun an diesen Institutionen, die entsprechenden Finanzierungsentscheide vorzubereiten, um den Aufbau der neu geplanten Forschungsinfrastrukturen zu ermöglichen. Dem Bund fällt dabei gegebenenfalls der Entscheid zu, ob er sich an der einen oder anderen neuen internationalen Forschungsinfrastruktur beteiligen will.