ESFRI, das Europäische Strategieforum für Forschungsinfrastrukturen, hat nach zwei Jahren intensiver Arbeit eine aktualisierte Roadmap für Forschungsinfrastrukturen (FIS) in Europa publiziert. Bei der Ausarbeitung der ESFRI-Roadmap 2021 waren auch wissenschaftliche Experten aus der Schweiz sowie die Schweizer ESFRI-Delegation involviert.

Bild: European XFEL / Jan Hosan
Die Roadmap 2021 von ESFRI (European Strategy Forum on Research Infrastructures) setzt drei Schwerpunkte: Sie enthält einen strategischen Bericht zur Forschungsinfrastruktur-Politik, eine Analyse der aktuellen ESFRI-Forschungsinfrastrukturlandschaft sowie eine detaillierte Liste aller neuen ESFRI-Projekte und ESFRI-Landmarks.
Schwerpunkt 1: Strategiereport
Der Strategiereport beschreibt einerseits die wichtigsten Merkmale und Ergebnisse des Prozesses zur ESFRI-Roadmap 2021. Anderseits zeigt er die grössten Herausforderungen und Strategien für die FIS-Politik in den kommenden Jahren auf.
In Bezug auf den Gestaltungsprozess der Roadmap möchte ESFRI in Zukunft längere Intervalle für die Aktualisierung in Betracht ziehen. Auf operativer Ebene soll künftig ein stärkerer Fokus auf die Harmonisierung des Evaluierungsprozesses gelegt werden. Darüber hinaus wird man sich mit der vorgesehenen Zeitdauer eines Platzes auf der Roadmap (zehn Jahre) beschäftigen müssen, denn der Bau von sehr grossen Forschungsinfrastrukturen geht oft über diese zeitliche Grenze hinaus. Ebenso wird der künftigen Bewertung von interdisziplinären Projekten besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, da solche Ansinnen vorrausichtlich vermehrt entstehen werden, von Natur aus schwierig zu bewerten sind und somit einen grösseren Aufwand generieren.
Im politischen-strategischen Bereich sieht ESFRI in Zukunft einen wachsenden Bedarf an neuen Arten von Forschungsinfrastrukturen, welche problem- und lösungsorientiert im Zusammenhang mit spezifischen Herausforderungen wie dem Klimawandel und ökologischer Nachhaltigkeit oder Gesundheit eingesetzt werden sollen. In diesem Sinne sollen FIS künftig vermehrt einen fokussierten Beitrag zu entsprechenden politischen Zielen leisten.
Gleichzeitig werden traditionelle FIS in bekannten wissenschaftlichen Disziplinen immer umfangreicher und erfordern eine wachsende Zahl von Teilnehmerländern und deren finanzielle Beiträge, um weiterhin exzellente Forschung zu betreiben. Darüber hinaus sollten die ESFRI-Forschungsinfrastrukturen auch zur Umsetzung des neuen Europäischen Forschungsraums beitragen, unter anderem durch eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Forschungsinfrastrukturen, e-Infrastrukturen und Akteuren wie der European Open Science Cloud.

Bild: EBrains
Schwerpunkt 2: Landschaftsanalyse
Die Landschaftsanalyse stellt den Status quo aller ESFRI-Forschungsinfrastrukturprojekte in sechs thematischen Bereichen dar (siehe Hintergrund und Methodik). Des Weiteren zeigt sie die Beiträge der FIS-Projekte zum Fortschritt in der Grundlagenforschung sowie zur Bewältigung der dringlichen gesellschaftlichen Herausforderungen.
Die Analyse liefert zusätzlich einen Einblick in bestehende Lücken in der Forschungsinfrastrukturlandschaft sowie mögliche Richtungen für künftige strategische Investitionen oder anstehende Herausforderungen. Bedarf an Forschungsinfrastrukturen oder -verbünden ortet die neue ESFRI-Roadmap insbesondere im Bereich «Digitales» hinsichtlich der Entwicklung von Infrastrukturen sowie im Bereich «Energie». Im letztgenannten sollte vor allem die smarte Energienutzung ausgebaut werden. Ganz allgemein wird künftig mehr disziplinübergreifende Zusammenarbeit vonnöten sein, so etwa in den Bereichen «Ernährung und Gesundheit» oder «Umweltforschung». In den «Natur- und Ingenieurwissenschaften» erachtet man die wachsende Komplexität in der Umsetzung und die Zunahme der Kosten bei neuen Projekten als herausfordernd. Die Landschaft der Projekte im Bereich «Soziale und kulturelle Innovation» ist nach wie vor sehr fragmentiert.
Schwerpunkt 3: ESFRI-Projekte und ESFRI-Landmarks
Der letzte Teil der ESFRI-Roadmap 2021 listet alle Projekte auf. Das sind neue Forschungsinfrastrukturprojekte in frühen Stadien, welche sich auf dem Weg zur Umsetzung befinden. Die Projekte werden aufgenommen, um ihre strategische Bedeutung für den Europäischen Forschungsraum zu unterstreichen und ihre Umsetzung vor allem in dieser frühen Phase zu unterstützen. Darüber hinaus enthält die Roadmap eine Übersicht aller ESFRI-Landmarks. Das sind exzellente und etablierte Forschungsinfrastrukturen, die bereits wissenschaftliche Dienstleistungen sowie Zugang zu Daten und Infrastrukturen anbieten oder sich in einem fortgeschrittenen Stadium des Aufbaus befinden. Landmarks benötigen kontinuierliche Unterstützung und Beratung für die erfolgreiche Fertigstellung, den Betrieb und – falls erforderlich – die technologische Modernisierung. Zu diesem Zweck wird die Wirksamkeit der Landmarks regelmässig überprüft.
Die aktualisierte ESFRI-Roadmap enthält elf neue Projekte und vier neue Landmarks. Insgesamt listet die ESFRI-Roadmap 2021 somit 22 Projekte sowie 41 ESFRI-Landmarks auf. Die Gesamtinvestitionskosten für die elf neuen Projekte betragen knapp 4,2 Mrd. EUR (durchschnittlich 380 Mio. EUR). Die in der Tabelle dargestellten ESFRI-Projekte wurden neu aufgenommen.

Beteiligung der Schweiz
Bei der Ausarbeitung der ESFRI-Roadmap 2021 waren auch wissenschaftliche Experten aus der Schweiz sowie die Schweizer ESFRI-Delegation, bestehend aus je einer Vertreterin des SBFI und des Paul Scherrer Institut, involviert. Viele Forschungsinfrastrukturprojekte und Landmarks auf der ESFRI-Roadmap haben in ihren Konsortien auch Forschende aus der Schweiz; bei den neuen ESFRI-Projekten ist die Schweiz wissenschaftlich vertreten bei: EBRAINS*, SLICES*, SoBigData++*, ET* und EuPRAXIA*.
Hintergrund und Methodik
Die ESFRI-Roadmap führt sowohl Forschungseinrichtungen auf, die geografisch an einem einzigen Standort oder an einigen komplementären Standorte fungieren (single-sited Research infrastructures), als auch Forschungsinfrastrukturverbünde (distributed Reserach infrastructures), welche national organisierte Forschungsinfrastrukturen in einem Netzwerk aus einem Hauptsitz und nationalen Kontenpunkten zusammenbringen.
Alle in der ESFRI-Roadmap enthaltenen Forschungsinfrastrukturprojekte sind thematisch einem oder mehreren der folgenden Bereiche zugeordnet:
- Daten, Datenverarbeitung und digitale Forschungsinfrastrukturen
- Energie
- Umwelt
- Gesundheit und Ernährung
- Natur- und Ingenieurwissenschaften
- Soziale und kulturelle Innovation
Die Analysen in der ESFRI-Roadmap basieren auf einem Lifecycle-Ansatz für Forschungsinfrastrukturen. Dieser sieht sechs Phasen vor, welche den Lebenszyklus einer FIS widerspiegeln:
- (wissenschaftliches) Konzept
- Design inklusive eines Plans zur technischen Umsetzbarkeit
- Vorbereitungsphase hin zu einer vollwertigen Organisation
- Durchführung bzw. Umsetzung
- eigentliche Operation bzw. Forschungsinfrastruktur in Betrieb
- Beendigung, welche die Auflösung der Organisation bzw. den Abbau der Einrichtungen bedeuten kann
Das Europäische Strategieforum für Forschungsinfrastrukturen (ESFRI) wurde im Jahr 2002 als informelles und unabhängiges Forum gegründet. Es setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern der nationalen Behörden der Mitgliedstaaten und assoziierten Länder, der Europäischen Union und der Europäischen Kommission zusammen. Als unabhängige Expertengruppe trägt es zur Unterstützung eines kohärenten und strategiegeleiteten Ansatzes für die Politikgestaltung im Bereich der Forschungsinfrastrukturen in Europa bei.
Weitere Informationen
Anna Fill, SBFI
Wissenschaftliche Beraterin Ressort EU-Rahmenprogramme