Frühe Sprachförderung in der Schweiz

Im Juni 2022 hat der Bundesrat einen Bericht über die frühe Sprachförderung in der Schweiz verabschiedet. Das SBFI hat die Redaktion des Berichts koordiniert, der in Erfüllung der Motion 18.3834 Eymann mit dem Titel «Frühe Sprachförderung vor dem Kindergarteneintritt als Voraussetzung für einen Sek-II-Abschluss und als Integrationsmassnahme» erstellt wurde. Dabei wurde es von einer Begleitgruppe unterstützt, in der die betroffenen Bundesämter und interkantonalen Konferenzen, das Institut für Mehrsprachigkeit in Freiburg, der Schweizerische Gemeindeverband und der Schweizerische Städteverband vertreten waren.

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Die wissenschaftliche Literatur ist fast einhellig der Meinung, dass sich fremdsprachige Kinder die Lokalsprache am effizientesten aneignen und sich am besten integrieren, wenn sie die regulären Betreuungseinrichtungen besuchen. Photo: Adobe Stock

Der Motion zufolge sollte der Bund bei der schweizweiten Entwicklung einer Sprachförderung für Vorschulkinder, namentlich für in der Schweiz geborene Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund, eine wichtige Aufgabe übernehmen, auch wenn der Bereich der frühen Förderung hauptsächlich in die Zuständigkeit der Kantone und Gemeinden fällt. Ihr erklärtes Ziel ist eine bessere soziale Integration von fremdsprachigen Kindern, d. h. von Kindern, deren Erstsprache nicht der Lokalsprache entspricht. Damit würden letztlich deren Bildungschancen verbessert. Die Motion bezieht sich insbesondere auf eines der gemeinsamen politischen Ziele von Bund und Kantonen für den Bildungsraum Schweiz, wonach 95 Prozent der 25-Jährigen über einen Abschluss der Sekundarstufe II verfügen sollen.

Die statistischen Erhebungen ergeben jedoch, dass nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund betroffen sind: Knapp 35 Prozent der in der Schweiz wohnhaften fremdsprachigen Kinder im Vorschulalter besitzen die schweizerische Staatsangehörigkeit (siehe Grafik).

Eine wissenschaftliche Studie im Vorfeld des Bundesratsberichts

Der bundesrätliche Bericht stützt sich zu grossen Teilen auf eine vom SBFI in Auftrag gegebene wissenschaftliche Studie der Pädagogischen Hochschule St. Gallen, die mit dem Forschungs- und Beratungsbüro Infras und der Universität Genf zusammengearbeitet hat.
Die Studie bietet einen Überblick zur Forschungsliteratur und veranschaulicht anhand von zwölf Fallbeispielen aus verschiedenen Kantonen und Gemeinden die kantonalen Praktiken. Sie betrachtet die frühe Sprachförderung als Teil der frühen Bildung. Vor diesem Hintergrund plädiert sie für den sogenannten universellen Ansatz, der die Sprach- und Kommunikationsfähigkeiten aller Vorschulkinder im Visier hat und nicht nur jene von fremdsprachigen Kindern oder Kindern mit besonderen Bedürfnissen (beispielsweise mit einer Beeinträchtigung wie Gehörlosigkeit oder Sehschwäche). Darüber hinaus sollten die Kinder eher im Rahmen alltäglicher Aktivitäten gefördert werden – insbesondere in ausserfamiliären Betreuungseinrichtungen (Kindertagesstätten, Spielgruppen) – als in spezifischen Kursen oder Workshops zum Spracherwerb. Zahlreiche Studien belegen gar einen Zusammenhang zwischen dem Besuch solcher Betreuungseinrichtungen und dem Bildungserfolg.

Anzahl fremdsprachige Kinder in der Schweiz im Alter von 0 bis 4 Jahren

Die Schweiz zählt rund 83'642 fremdsprachige Kinder (dies entspricht 21,7% der in der Schweiz wohnhaften Kinder im Alter von 0 bis 4 Jahren). Von diesen 83'642 fremdsprachigen Kindern ...

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Quelle: BFS, Strukturerhebung SE, 2017–2019 kumuliert

Kantonale Programme zur sprachlichen Unterstützung fremdsprachiger Kinder

Der Kanton Basel-Stadt, für den Christoph Eymann im Nationalrat war, hat im Bereich der Förderung fremdsprachiger Kinder eine Vorreiterrolle. Seit 2013 führt der Kanton bei allen Kindern im Alter zwischen zwei und drei Jahren, unabhängig von ihrer Nationalität, eine Sprachstandserhebung durch. Kinder, die einen Bedarf an Deutschförderung aufweisen, sind anschliessend verpflichtet, die dafür vorgesehenen und für sie kostenlosen Angebote zu besuchen. Der Kanton Thurgau dürfte eine ähnliche Richtung einschlagen. Andere Kantone wie beispielsweise Solothurn und bald auch Luzern verpflichten die Gemeinden dazu, ein Angebot der sprachlichen Förderung für Kinder mit entsprechendem Bedarf zu schaffen, wobei kein Besuchsobligatorium besteht. Weitere Kantone haben Pilotprojekte gestartet, bevor sie langfristige Lösungen ins Auge fassen wollen.

Im Tessin beginnt die frühe (sprachliche) Förderung ab dem Schuleintritt, der mit drei Jahren erfolgt. 70 Prozent der rund dreijährigen Kinder besuchen das erste Jahr der scuola d’infanzia, die fakultativ ist. Fremdsprachige Kinder erhalten eine gezielte Unterstützung durch Sprachförderlehrpersonen.

Die wissenschaftliche Literatur ist fast einhellig der Meinung, dass sich fremdsprachige Kinder die Lokalsprache am effizientesten aneignen und sich am besten integrieren, wenn sie die regulären Betreuungseinrichtungen besuchen.

Entwicklungsmöglichkeiten auf Bundesebene

Gestützt auf die wissenschaftliche Studie kommt der Bundesrat zum Schluss, dass die frühe Sprachförderung «zuallererst über eine Unterstützung der Regelstrukturen und der Angebote der frühen Bildung zu erreichen» ist. Diese Angebote betreffen überdies auch die Eltern und die Fachpersonen im Kleinkinderbereich. Nun liegt es am Bundesamt für Sozialversicherungen, die verschiedenen Arbeiten in diesem Bereich weiterzuverfolgen.

Auch andere Unterstützungsansätze auf Bundesebene können untersucht werden, der Bund wird jedoch weiterhin eine subsidiäre Rolle spielen. Solche Ansätze sind namentlich im Rahmen der Integrations-, Sprach- oder Kulturpolitik oder im Bereich der Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen möglich.

Das SBFI seinerseits kann die Organisationen der Arbeitswelt (OdA) im Kleinkinderbereich (Fachfrau/Fachmann Betreuung EFZ – Fachrichtung Kinderbetreuung, Kindheitspädagogin/pädagoge HF, Berater/in Frühe Kindheit mit eidgenössischem Diplom), die für die Inhalte der Berufsbildung zuständig sind, sensibilisieren und dafür sorgen, dass diese Ausbildungen kontinuierlich den Bedürfnissen der Arbeitswelt angepasst werden. Die Bildung von Vorschulkindern ist jedoch nicht Teil des formalen Bildungssystems der Schweiz.

Der Bund kann ausserdem zur Verbesserung der Daten und Kenntnisse zur frühen Sprachförderung beitragen, wie er dies mit der in Auftrag gegebenen Studie bereits getan hat. So ist auch ein Forschungsprojekt zu diesem Thema im mehrjährigen Forschungsprogramm des Instituts für Mehrsprachigkeit vorgesehen.

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